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Prozesse

Vom chaotischen Streckennetz zum perfekten Prozess-Plan

Natürlich gewachsene Prozesse in einem Unternehmen wirken manchmal wie der Netzplan der Hamburger Hochbahn. So erging es auch der Voltus GmbH, die den Wechsel ihres Enterprise-Resource-Planning-Systems (ERP) zum Anlass nahmen, ihre Prozesse neu zu betrachten und zu optimieren. Unterstützt wurden sie dabei durch das Mittelstand-Digital Zentrum SH mittels der Prozess Atlas-Systematik (PAS).

Im Gespräch sind Dirk Löding, Bereichsleiter Supply Chain bei der Voltus GmbH, und Lisa Neumann vom Mittelstand-Digital Zentrum SH

Auf einen Kaffee mit Dirk Löding

15:08 min.

Strukturiertes Vorgehen ist bei der Prozess-Optimierung das A und O. Das Mittelstand-Digital Zentrum SH unterstützte mit einer eigenen Methodik.

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Lisa Neumann: Hallo, mein Name ist Lisa Neumann. Ich komme vom Mittelstand-Digital Zentrum Schleswig-Holstein und bin heute zu Besuch bei der Voltus GmbH in Bad Schwartau zusammen mit Dirk Löding. Wir werden heute gemeinsam über das Thema Digitalisierung sprechen. Hallo Dirk, erzähl vielleicht am Anfang für alle, die Voltus noch nicht kennen, was das Unternehmen genau macht.

Dirk Löding: Gern. Voltus ist ein Unternehmen, das seit 2004 am Markt ist und als kleines Unternehmen im eigenen Wohnzimmer angefangen hat, Elektronik-Bauteile zu verkaufen. Also Bauteile für Installation, Material, Stecker, Schalter und alles, was man so braucht, um ein Haus auszurüsten. Mittlerweile ist das Unternehmen 70 Mann stark und hat den Anspruch, Multi-Channel-Distributor für dem Bereich Smart-Home zu sein. Das heißt Gebäude-Automation und alle Ausrüstungsgegenstände, die du brauchst, um ein Gebäude modern auszustatten.

Neumann: Das klingt auf jeden Fall sehr spannend. Was ist aktuell das Thema, was euch am meisten beschäftigt?

Löding: Unser Fokus liegt ganz klar auf dem Bereich Smart-Home. Das bedeutet, dass wir versuchen, die Komponenten, die elektrische Verbraucher sind, und die diese Komponenten steuernden Einheiten so miteinander zu verbinden, dass es im weitesten Sinne energieeffizient ist. Also im Großen und Ganzen alles unter der Überschrift „Unterstützung der Energiewende“.

Neumann: Und dadurch, dass ihr in den Produkten sehr digital unterwegs seid, müsst ihr bei euren Prozessen auch schauen, dass die digitaler werden?

Löding: Das ist in der Tat richtig. Wir haben uns in den letzten Jahren mit diesem wundervollen Wachstum auseinandergesetzt und haben versucht, da den Kunden zufrieden zu stellen. Für Organisation der Prozesse und das Drumherum war daher nur wenig Zeit. Das bedeutet, dass da jetzt viel auf einmal auf uns zu gekommen ist, weil sich das angestaut hat. Darum hatten wir im Grunde zwei Kernaufgaben zu erledigen. Die eine Kernaufgabe war, dass wir nachzuholen mussten, was wir über die Jahre nicht geschafft hatten. Und die zweite Kernaufgabe war, einen Ersatz für unser ERP-System finden, das in die Jahre gekommen ist und überhaupt nicht mehr in der Lage ist, die heutigen Anforderungen zu erfüllen.

Neumann: Gab es bei diesem Wechsel besonders herausfordernde Situationen für euch?

Löding: Herausfordernde Situationen sind da und sehr vielfältig. Ein wesentlicher Punkt ist, dass momentan die Nachfrage nach technischer Beratung enorm groß ist. Unsere Kolleginnen und Kollegen haben sehr viel zu tun. Gleichzeitig leiden alle unter der Pandemie-Situation und unter den sagen wir geopolitischen Rahmenbedingungen, mit denen wir momentan kämpfen. Die Nachschub-Situation insgesamt ist völlig unbefriedigend und teilweise sind Bauteile überhaupt nicht zu bekommen, weil die Lieferkette unterbrochen ist. Und dann ein Riesenprojekt wie ein ERP-Wechsel, das ist doch eine erhebliche Herausforderung.

Neumann: Hattet ihr bestimmte Bedenken oder auch etwas Bestimmtes zu beachten bei dem ERP-Wechsel?

Löding: Also eine wesentliche Aufgabe, die wir im Auge haben müssen, sind die Besonderheiten, die wir bei uns in der Branche haben. Ein Beispiel: Wir verkaufen Kabel. Die Kabel bestehen aus zwei Komponenten. Das ist einmal das Mantel-Material und das ist das Metall, das innendrin ist. Das Mantel-Material ist preislich relativ stabil. Das Metall wiederum unterliegt fast täglichen Preisschwankungen. Das heißt, wir müssen eine Software haben, die in der Lage ist, zumindest eine tägliche Kalkulation von Einkaufs- und Verkaufspreisen mehr oder minder automatisiert zu ermöglichen. Zweites Beispiel für die Herausforderungen, die wir uns in der Branche stellen müssen, ist verbunden mit den Finanzströmen, die wir bedienen. Wir haben einen erklecklichen Teil an Sendungen ins europäische Ausland, und es gibt eine Vorschrift, die uns unter der Überschrift OSS von den Finanzbehörden eine quasi Erleichterung gibt, um die Abrechnung mit verschiedenen Mehrwertsteuersätze in den Ländern bewerkstelligen zu können. Das bedeutet aber, dass die neue ERP dafür geeignet sein muss, das mit abzubilden und darzustellen. Dritter großer Brocken, den wir an die Seite räumen müssen, ist die Anbindung der neuen ERP an unseren bestehenden Onlineshop. Wir machen einen Großteil, also den überwiegenden Teil unseres Geschäfts, über den Onlineshop und die neue ERP muss daran angebunden werden. Das setzt natürlich Klarheit über die Parameter, die Grenzen und den Informationsaustausch zwischen den Systemen voraus.

Neumann: Das sind auf jeden Fall schon sehr große und sehr klar definierte Anforderungen zu denen noch viele mehr kommen, wie ich in dem Projekt erfahren habe. Erzähl doch mal bitte, wie ihr da herangegangen seid, um diese Anforderungen für den Systemwechsel aufzunehmen.

Löding: Ausgehend von einer System-Landschaft, die, wenn man sie visualisieren würde, ungefähr so aussieht wie das Streckennetz der Hamburger Hochbahn, also völlig unübersichtlich mit Verbindungen in alle Himmelsrichtungen, haben wir die Prozess Atlas-Systematik (PAS) genutzt, um in diese etwas wirre Landschaft eine Struktur zu bringen, damit sie auch für einen Außenstehenden zu verstehen ist. Dadurch haben wir erfahren, an welchen Nahtstellen die Systeme miteinander kommunizieren, um daraus dann über eine Art Mindmap die ganzen Anforderungen zu formulieren und in eine Reihenfolge zu bringen. Und natürlich brauchten bei der Formulierung der Anforderungen auch eine Priorisierung. Also was muss als erstes fertig sein und was dann später. Und als wir diese U-Bahn-Karte, die PAS und die Mindmap zusammengebracht haben, hat das bei uns dazu geführt, dass wir einen sehr klaren und sehr umfangreichen Anforderungskatalog entwickelt haben, den wir an die möglichen ERP-Anbieter geben konnten.

Neumann: Magst du vielleicht genauer euer Vorgehen beschreiben? Bei den meisten Unternehmen gibt es ja Überlegungen wie: Wie schaffe ich Ressourcen? Wie gehe ich überhaupt das Ganze an?

Löding: Eine Schwierigkeit bei uns ist, dass wir keine eigene Kompetenz im Bereich IT haben. Also wir haben nicht so einen IT-Fachmann, der sich nur um dieses Thema kümmert. Das heißt die Arbeit wird auf die vorhandenen Köpfe und Schultern verteilt. Wir mussten erstmal mit einem ganz einfachen Weg die Anforderungen an die Prozess-Beschreibung erarbeiten. Und da hat uns die Zusammenarbeit mit dem Mittelstand-Digital Zentrum sehr geholfen, weil wir dort sehr leichten Zugang zum System bekommen haben, um die PAS richtig anwenden zu können. Wir haben super Unterstützung bekommen bei der Einführung unserer Leute. Und wir hatten zwei junge Männer hier, die im Rahmen ihres Studiums quasi an dem Prozess „Order to Delivery“ gearbeitet haben. Das war quasi die Blaupause für alle anderen Prozesse, die wir dann modelliert haben. Insbesondere im Bereich der Übergabe von Zahlungs-Informationen an die Zahlungs-Schnittstellen hatten wir eine sensationelle Erkenntnis, was wir da alles drin gehabt haben, was man nicht braucht.

Neumann: Ja, das sind manchmal die wesentlichen Erkenntnisse, dass man doch zu viel hat. Magst du einmal erzählen, wie das für deine Mitarbeiter war? Du hast da sicherlich Feedback bekommen, wie es ist, mit uns gemeinsam zu arbeiten und auch die Methodik zu erlernen.

Löding: Also das sind ja immer zwei Komponenten. Die eine Komponente erfordert eine menschliche Ebene, dass man miteinander vernünftig arbeiten kann und sich ganz einfach leiden mag, wenn man miteinander jeden Tag Zeit verbringt. Die andere Komponente ist die inhaltliche, die so sein muss, dass man nicht abgeschreckt wird von den Werkzeugen, die man anwenden soll. Und da ist die PSA aus meiner Sicht sehr hilfreich, weil sie eben mit sehr wenigen Bausteinen auskommt und klar hilft, mit der entsprechenden Distanz auf die Dinge zu schauen und sich dann bei Bedarf tiefer einzuarbeiten. Dadurch, dass wir die beiden Studierenden hier hatten, dadurch, dass die Betreuung durch das Zentrum immer sehr persönlich war, haben sich im Grunde alle, die von unserer Seite daran teilgenommen haben, zu Hause gefühlt in dem Projekt. Das ist wichtig, denn wir waren nicht in dieser Rolle: Wir werden jetzt von jemandem beraten, der nur als Berater hierherkommt, sondern das war im Sinne einer gemeinsamen Zielsetzung und das war total super. Und das Werkzeug selber ist sehr einfach gemacht. Es ist ein Leichtes, das immer wieder zu wiederholen und anzuwenden.

Neumann: Du hattest auch gesagt, dass ihr das mittlerweile für den Personal-Beschaffungsprozess anwendet, um die Anforderungen abzuleiten.

Löding: Genau. Es ist relativ einfach, wenn ich weiß, wo meine Systemgrenzen sind, wo die Nahtstellen zwischen den verschiedenen Abteilungen oder Systemen sind, zu beschreiben, was der Mitarbeiter auf seiner Funktion leisten muss. Im Ergebnis: Was muss ich einer Abteilung, einem anderen Partner zur Verfügung stellen an dieser Nahtstelle? Und wenn ich das weiß, kenne ich den Zweck, das Ziel der Stelle, auf der jemand beschäftigt ist und kann dann genau sagen, welche Tätigkeiten sich daraus ableiten lassen, welche Informationsbeziehung es gibt. Und ich muss keine großen Recherchen mehr anstellen um zu wissen, was muss der Mensch eigentlich können, der auf dieser Position sitzt. Ich habe auf einem Blatt Papier zusammen, was ich brauche, um da eine Stellenausschreibung zu machen.

Neumann: Das ist natürlich das Beste überhaupt und von daher für jedes Unternehmen empfehlenswert. Und um aber noch einmal auf den ERP-Wechsel zurückzukommen. Bei welchem Stand seid ihr derzeit?

Löding: Wir sind jetzt an einer Stelle, dass wir mittels der erarbeiteten Anforderungen aus diesem doch sehr großen Strauß an Anbietern, die es dort am Markt gibt, einen ausgesucht haben. Das heißt, wir haben einen Partner, mit dem wir es machen wollen. Wir haben ein System, das in der Lage ist, das zu tun, was wir machen wollen. Jetzt sind wir quasi an der Stelle, wo wir die Formalien klären, um zu sagen: Wer muss was leisten, bis wann, wer sind die Ansprechpartner? Das ist ziemlich viel Papierkram, den man da erledigen muss, aber es ist die Mühe wert. Und dadurch, dass wir die Prozesse beschrieben haben, die Anforderungen beschrieben haben, weiß auch jeder, worum es geht und was zu leisten ist und was nicht.

Neumann: Genauso habt ihr wahrscheinlich auch das, was ihr vorher ausgearbeitet habt, einmal zur Verfügung gestellt, damit auch die Anbieter einen Einblick haben.

Löding: Genau, das ist ganz wichtig, weil sonst ja auch der Softwareanbieter die Katze im Sack kauft und eventuell ein falsches Bild hat von dem, was er leisten muss und dann nur scheitern kann.

Neumann: Also es ist eine Win-Win-Situation für Voltus, weil ihr das bekommt, was ihr wollt und weil der Anbieter die Möglichkeit hat, euch das zu geben, was ihr wollt. Die Kommunikation ist dadurch einfach klarer.

Löding: Die Kommunikation ist viel klarer und eindeutiger, aber es gibt noch einen dritten Gewinner in diesem Spiel. Das sind nämlich die Mitarbeiter, die hinterher mit dem System arbeiten müssen. Die wissen nämlich schon, welche Prozesse abgebildet werden sollen und werden nicht überrascht von einer Software, die dann wieder ihre eigenen Anforderungen hat und dann Prozesse wieder nachgearbeitet werden müssen.

Neumann: Die Mitarbeiter sind ja auch diejenigen, die am Ende mit dem System arbeiten müssen.

Löding: Der Anbieter macht noch ein bisschen Support, das Projektmanagement hat sich zurückgezogen und der Anwender muss mit dem Ergebnis leben.

Neumann: Also ich weiß nicht, was man dazu noch Besseres sagen kann, vor allem zum Abschluss. Von daher vielen Dank dafür, dass du Einblicke in das Unternehmen Voltus gegeben hast und auch den Prozess beschrieben hast, wie das Ganze bei euch abgelaufen ist. Und auch für Sie, wenn Sie Unterstützung brauchen oder das Gefühl haben, sie trauen sich nicht so ganz oder wissen gar nicht, wo sie anfangen sollen, dann können Sie immer gerne auf das Mittelstand-Digital Zentrum Schleswig-Holstein zukommen und wir helfen Ihnen gerne.

Projekte mit dem Mittelstand-Digital Zentrum SH

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Prof. Dr. Andree Elsner
Prof. Dr. Andree Elsner Teilprojektleiter
Inger Struve
Inger Struve Prozesse und Nachhaltigkeit