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Innovation

Hör Mal - Digitalisierung in der Audiologie

Die Nachsorge von sogenannten Cochlea-Implantaten ist zeit- und ressourcenintensiv. Daher forscht Prof. Dr. Hey vom UKSH zusammen mit dem Unternehmen Merz Medizintechnik an einer digitalen Audiologie, die es ermöglicht, die Untersuchungen außerhalb der Kliniken durch niedergelassene Ärzt*innen und Akustiker*innen durchführen zu lassen. Dadurch entsteht ein ganz neuer, digitaler Prozess.

Gesprächspartner

Geschäftsführer Stephan Merz von Merz Medizintechnik

PD Dr. Matthias Hey. Leiter der Audiologie am Universitätsklinikum SH

Prof. Carsten Schultz – Mittelstand-Digital Zentrum SH

Sie wollen das Interview lieber lesen? Gerne!

Carsten Schultz: Herzlich Willkommen. Mein Name ist Carsten Schultz. Ich leite den Bereich Innovationsmanagement im Mittelstand-Digital Zentrum SH. Gleichzeitig leite ich auch das Institut für Innovation Forschung an der Universität Kiel. Herr Merz, vielen Dank dafür, dass Sie da sind. Reutlingen ist weit weg. Merz Medizintechnik ist ein klassisches, mittelständisches Unternehmen. Vielleicht wollen Sie sich kurz mal selbst vorstellen?

Stephan Merz: Sehr gerne. Mein Name Stephan Merz, 49 Jahre alt. Ich bin einer von zwei Geschäftsführern der Firma Merz Medizintechnik GmbH. Die Merz Medizintechnik wurde 2008 von meiner Frau und von mir gegründet. Wir waren damals zu zweit, haben dann versucht, in diesem Markt weiter Fuß zu fassen. Seit 2020 haben wir ein Außendienst Büro in Berlin eröffnet. Und seit letztem Jahr sind wir zehn Mitarbeiter und versuchen zu wachsen und zu gedeihen. Der Markt ist dominiert von dänischen Firmen, vor allem – bis vor ein, zwei Jahren in der Diagnostik. Aber mein erster Chef meinte immer je größer die Großen werden, umso besser ist es für die Kleinen. Die haben dann die Möglichkeit durch schnelle, innovative Projekte einfach dran zu bleiben und sie an der einen oder anderen Stelle zu überholen. Und so ist es tatsächlich passiert. Der Mann hatte Recht und wir waren nicht sehr oft einer Meinung.

Schultz: Dr. Matthias Hey, Leiter der Audiometrie am Klinikum Schleswig-Holstein und damit natürlich eingebunden in die Praxis des Klinikums. Vielleicht magst du dich auch erst einmal vorstellen und dann deine Motivation erklären, warum du dich mit der digitalen Nachsorge von Cochlea-Implantaten beschäftigst.

Matthias Hey: Danke für die einführenden Worte. Matthias Hey ist mein Name. Ich bin eben nicht, wie man es erwarten möchte, hier im Hause Arzt, sondern ich habe einen naturwissenschaftlichen Hintergrund. Ich leite die Audiologie hier im Hause, was auch eine unserer Kernkompetenzen ist. Seit Jahrzehnten gewährleisten wir hier eine hochqualitative Versorgung. Vor allem bei Patienten mit hochgradigen Hör-Schwierigkeiten, die durch uns wieder hören können. Einer der Arbeitsschwerpunkte ist das Cochlea Implantat. Nichts destotrotz sind wir natürlich breit aufgestellt und behandeln jedwede Form von Störung. Das Projekt, das wir seit über zehn Jahren mit der Firma Merz machen, war damals besonders innovativ. Eine komplett digital gesteuerte Audiologie. Aber zunächst: Was ist ein Cochlea-Implantat? Ein Cochlea Implantat ist die erste Prothese eines menschlichen Sinnesorgans und zwar in dem Fall des Ohres. Es ist für Menschen, die so hochgradig hörgeschädigt sind, dass sie überhaupt keine Chance mehr habenetwas mitzubekommen. Das Cochlea Implantat ist eine Prothese, die mit seinem Elektrodenträger in die Schnecke eingeführt wird. Und dieses Implantat braucht eben auch eine besondere Akribie in der Nachsorge. Wir als In-den-Verkehr-Bringer sind verpflichtet, die Qualität des Hörens sicherzustellen und immer weiter zu optimieren. Wir tun das hier in Kiel schon seit Jahrzehnten und die Patienten werden sehr lange bei uns nachbetreut. Und hier war das Projekt eine wunderbare Investition. Die digitale Audiologie basiert auf der Software der Firma Merz Medizintechnik, die uns eine evidenzbasierte, qualitätsorientierte Nachsorge der Patienten ermöglicht. Eine Herausforderung ist zudem, dass es immer mehr Patienten werden, weil wir sie so lange nachversorgen. Und da muss man sich irgendwann Gedanken machen, wie man die ganze Arbeit in den nächsten Jahren noch hinbekommt. Daher die Überlegung die Routineaufgaben an andere zu delegieren. Im Moment haben wir einen gut abgesicherten Prozess und eine strukturierte Nachsorge. So werden die zeitlichen Veränderungen angepasst. Der Prozess ist gut, aber er kostet sehr viele Ressourcen. Daher haben wir uns einen prinzipiellen neuen, methodischen Ansatz ausgewählt, den wir im Rahmen von Laboruntersuchungen schon soweit vorwärts gebracht haben, dass wir diesen Prozess realisieren können. Beim konventionellen Prozess ist ein Versuchsleiter dabei, der den Patienten die Sachen vorspielt, z.B. Zahlen, Wörter, Sätze, Töne, alles Mögliche. Der Patient sagt dann, was er zum Beispiel bei den Worten verstanden hat. Und der Untersuchungsleiter beurteilt das Ganze. Wir haben also Anforderungen personeller Natur, wie auch, dass wir eine gute Raumakustik benötigen. Eine Weiterentwicklung ist es nun, und dafür hat die Firma Merz Medizintechnik einen Großteil der Hardware realisiert, dass wir einen Steuerungs-PC haben, der die Sachen abspielt. Über eine Funkkopplung kann der Patient direkt die Dinge vom PC hören. Coole Sache. So haben wir keine negativen Einflüsse der Raumakustik. Was der Patient hört, bekommt er dann als Auswahl auf einem Display vorgegeben. Er spricht also nicht danach, sondern er wählt einfach eine Option aus und der Algorithmus erkennt, ob es richtig oder falsch ist. Damit haben wir einen geringeren Ressourceneinsatz, weil der Untersuchungsleiter nur noch den Prozess anschieben muss und der Patient danach den längeren Prozess selbst durchführt. Das ist auch weniger fehleranfällig, weil die subjektive Bewertung wegfällt. Und darum ist es auch gut geeignet für externe Partner, die die Untersuchung für uns wohnortnah durchführen können. Wir sind im Moment so weit, dass wir durch Merz Medizintechnik unterstützt Hard- und Software für die Prozesse entwickelt haben. Wir haben im Labor die Sachen schon ausgetestet. Wir sind also qualitativ soweit, dass wir verlässliche und reproduzierbare Aussagen erhalten

Schultz: Wenn wir den Fokus auf dieses sogenannte Closed-Look-System legen, wir bringen die Diagnostik, die Audiometrie, quasi nach draußen, so dass sie nicht nur in den in den Ambulanzen der Kliniken stattfindet, sondern auch in der Breite solche Diagnostik auch von anderen Akteuren, wie zum Beispiel Hörgeräte-Akustiker durchgeführt werden kann. Wo ist da Ihr strategisches Potenzial? Warum ist so ein Thema für Sie als Unternehmen auch betriebswirtschaftlich interessant?

Merz: Wir erschließen uns damit einen weiteren Markt, den wir bisher nicht haben. Wir als Firma Merz sind im Bereich der Hörgeräte-Akustiker nicht vertreten. Mit einem wirklich innovativen Produkt erhöhen wir auch unsere Präsenz und Bekanntheitsgrad im Bereich der Kliniken. Das ist natürlich auch immer eine Wette auf die Zukunft. Aber am Ende, wenn alles so funktioniert, wie wir es uns vorstellen, bringt uns das einen großen Schritt weiter. Ganz klar.

Schultz: Ich spreche ja oft auch vom Gerät aus der Box, das da mehr oder weniger hergestellt wird. Wie wichtig ist die Software-Seite oder die digitalen Prozesse? Und was ist da in Zukunft noch möglich in Richtung Künstliche Intelligenz?

Merz: Die Box ist ein Mittel zum Zweck. Die haben wir benutzt, weil sie ein zugelassenes Medizinprodukt ist. So können wir einfach Untersuchungen in der Klinik vornehmen, da die regulatorischen Anforderungen an nicht zugelassene Medizinprodukte schwer zu händeln sind. Die Box ist auf jeden Fall nicht der Dreh und Angelpunkt.  Das ist natürlich die Software. Das ist die Vernetzung der Audiologie mit den Hörgerät-Akustikern oder den Ärzten, die die Messungen nachher machen sollen. Also der Austausch der Messdaten, denn am Ende muss der Audiologe in der Klinik auf Stand sein, um zu wissen: Was muss ich tun? Muss ich aktiv werden? Muss ich einschreiten? Muss ich den Patienten einbestellen? Und hier kommt dann natürlich auch KI ins Spiel, die an der Stelle sehr interessant ist. Ganz plakativ gesprochen kann die KI dafür sorgen, dass beim Audiologen eine Lampe angeht, die ihm sagt, er möge sich bitte mal diesen Patient anschauen. Da ist viel Potenzial, das wir in Zukunft versuchen auszuschöpfen.

Schultz: Matthias, aus Sicht eines Audiologen. Wie kommt das, was ihr da vorhabt, da draußen auf dem Markt an? Wo sind da die größten Schwierigkeiten?

Hey: Es gibt treibende Kräfte. Wir als Uniklinik haben Patienten mit Implantaten im Einzugskreis von über 100 Kilometern. Dazu kommt die Überalterung der Bevölkerung. Das sind also zunehmend Patienten 60 plus, die wir betreuen. Die haben ein Bedürfnis, wohnortnah betreut zu werden. Dann haben wir Corona, so dass Kontakte minimiert werden und natürlich die Digitalisierung, die in die Breite gebracht werden soll. Das sind verschiedene Trends, die dem zupasskommen. Wir machen seit Jahrzehnten alles hier selbst. Das würde also einen Bruch in der Denkweise bedeuten. Dafür gehen wir aber aber mehr auf die Patienten zu und haben viel an der Methodik gearbeitet. Wir haben viele Jahre nicht nur die Entwicklung begleitet von Merz, sondern auch an den Verfahren gearbeitet und etliche wissenschaftliche Arbeiten gemacht. Und das soll jetzt in Straßenlage gebracht werden. Diesen riesigen universitären Anspruch der evidenzbasierten Nachsorge der Patienten mit externen Partnern hinzukriegen. Und da kommst du ins Spiel, diese Partner zu finden.  Wir wollen ja nicht einfach die Patienten wegschicken und sagen: Macht mal irgendwo. Sondern wir wollen ein nächstes Niveau erreichen. Wir wollen ein Netzwerk schaffen. Und wenn wir diese ganzen Sachen zusammenbekommen, dann kann es etwas werden. Ich hatte vorhin den Ablauf gezeigt innerhalb der Uniklinik. Wenn wir jetzt Prozesse auslagern und mit den Akustikern zusammenarbeiten, bräuchten wir auch niedergelassene Ärzte. Wir bräuchten eine Bedarfsermittlung. Wir müssten Prozesse der Reparatur auf den Weg bringen. Diese Sache wird ziemlich komplex. Da könnte man jemanden den ganzen Tag für anstellen und er würde immer noch Dinge übersehen. Wer hat zusätzliche Bedarfe, die nicht extern geregelt werden können? Wo brauchen wir den Sachverstand der Uniklinik, um Probleme, besondere Bedürfnisse zu erfüllen? Um das alles zu steuern, können wir uns gut vorstellen einen KI-Einsatz zu fahren, weil wirklich viele Daten in diesem Prozess vorhanden sind und die KI Entscheidungen treffen könnte.

Carsten: Was das auch schön zeigt ist, dass wir hier mehr machen als nur reine Technik zu entwickeln, sondern wir entwickeln ja eigentlich ein neues Geschäftsmodell bzw. ein Modell im medizinischen Bereich. Vielen Dank für das Gespräch.

Ansprechpartner

Prof. Dr. Carsten Schultz
Prof. Dr. Carsten Schultz Teilprojektleiter Innovationsmanagement

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